Die Scheichs bauen in den Himmel

In Dubai wird das höchste Gebäude der Welt realisiert. Tag und Nacht bauen Inder und Pakistaner am 800 Meter hohen Burj Tower. Am neuen Aushängeschild des Emirats verdienen auch ABB und Sika.

 

Mit einem holprigen Lift und einem Plastikhelm auf dem Kopf geht die Reise gen Himmel. Nach dreissig Sekunden Fahrt entlang des Betonskelettes des Burj Dubai befinden wir uns hundert Meter über dem Boden. Dies war die Höhe des historischen Turms von Babel. In der Stadt Babylon, so steht es in der Bibel geschrieben, hätte ein Volk aus dem Osten versucht, einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel zu schaffen, bis es von Gott für diesen Frevel bestraft wurde. In der Wüstenstadt Dubai am Persischen Golf, im Reich von Scheich Mohammed bin Raschid al-Maktoum, fürchtet man sich nicht vor solchen Sanktionen - möglich ist hier alles, was machbar ist.

Der Meister der Machbarkeit auf der höchsten Baustelle der Welt ist der Ingenieur Rachid Ghamraoui. «Wir haben nun 83 Stockwerke des Burj Dubai gebaut und sind damit knapp über der Hälfte», hatte der gebürtige Libanese zuvor auf sicherem Boden erklärt. Mehr als 800 Meter (die genaue Höhe ist geheim) sollen die Nadeln des Burj Dubai in den Himmel ragen. Mit der Fertigstellung des Milliarden-Dollar-Projektes im Jahre 2008 wird das Gebäude höher sein als der Sears Tower in Chicago (442 m), die Petronas Towers in Malaysia (452 m) oder der Taipei 101 in Taiwan (509 m).

Auftraggeberin ist Emaar Properties, eine der grössten Immobilienfirmen der Welt. Sie ist im Besitz der Scheichsfamilie. Damit Projektleiter Ghamraoui deren ehrgeizige Ziele erreicht, lässt er ein Heer von 2500 Arbeitern aus Indien, Pakistan und Indonesien Tag und Nacht arbeiten. Mit Hilfe von Kränen ziehen diese die Betonfassade um zwei Stockwerke pro Woche in die Höhe. Zehn Millionen Arbeitsstunden hätten die Arbeiter bisher geleistet - und dies ohne einen Unfall, steht unten auf einem Schild geschrieben.

Während der Lift in die Höhe rumpelt, beantwortet der Projektleiter Fragen der Besucher. «Wie sieht es mit der Sicherheit dieses Projektes aus?» Die Miene von Rachid Ghamraoui verfinstert sich. Kritische Fragen gelten in den Vereinigten Arabischen Emiraten als höchst unschicklich, im Besonderen, wenn sie die Scheichsfamilie betreffen. «Spezialisten aus der ganzen Welt sind hier am Werk. Wir überlassen nichts dem Zufall», erklärt der gebürtige Libanese, der schon weltweit Hochhäuser gebaut hat. Der Burj Dubai ist ein Prestigeprojekt für das Emirat Dubai - und ausländische Investoren standen Schlange. Mit ABB, Sika, Schmidlin und Liebherr (siehe Kasten) sind auch Schweizer Firmen beteiligt.

Wir sind im 55. Stock auf rund 300 Meter Höhe angekommen. Die Aussicht über das Las Vegas des Orients ist grandios. Rundherum werden weitere Wolkenkratzer in den Himmel gezogen. Am Horizont steht das bisherige Wahrzeichen von Dubai, das segelförmige, 321 Meter hohe Siebensternhotel Burj al-Arab. Draussen im Meer werden gleich mit «The World» und «The Palms» gigantische künstliche Inseln gebaut. Sie sind der zukünftige Wohnsitz von Tausenden von Millionären, die keine Lust mehr haben, in ihren Heimatländern Steuern zu zahlen.
 

Alle Stockwerke waren nach zwei Tagen ausverkauft


Während die Sonne im Meer versinkt, erklärt Ghamraoui den Besuchern Details des Bauprojektes. Wie eine sechsblättrige Wüstenblume strebt der Turm in die Höhe. Damit sie erblüht, werden 260 000 Kubikmeter Beton und 50 000 Tonnen Stahl verbaut. Die letzen hundert Meter des Turms bestehen aus einer Metallspitze, die sich bei Bedarf verlängern lässt, sollte ein anderer Bauherr auf die Idee kommen, ein noch höheres Gebäude zu erstellen. Bis auf 700 Meter Höhe wechseln sich Schichten mit Hotels, Restaurants, Luxusappartements und Büroetagen ab. Die obersten Stockwerke belegen Kommunikationsfirmen. Hier kann der Turm bei starkem Wind bis zu 1,5 Meter schwanken. «Wir haben dieses Problem aber völlig im Griff», beruhigt der Projektleiter.

Trotz der babylonischen Höhe und der stolzen Preise des Burj Dubai waren alle Wohnungen und Büros bereits nach zwei Tagen ausverkauft. Geld gibt es in Dubai, so scheint es, noch mehr als Sand. Als liberale Insel, umringt von fundamentalislamischen Staaten wie Saudi-Arabien oder Iran, ist es ein Magnet für Schwarzgeld aus dem ganzen Orient. Die Folgen sind ungehemmte Spekulation mit Immobilien, eine zweistellige Inflationsrate und Mietpreise wie in Zürich. Nur die Bauqualität kann nicht ganz mit den Preisen mithalten. Dem Heer der ungelernten Arbeiter, die all die Luxustürme in Rekordzeit in die Höhe ziehen, fehlt es bei den Details oft an der notwendigen Sorgfalt. Wenn es in Dubai ausnahmsweise regne, dann leckten viele Häuser, erzählt ein asiatischer Manager.

Schichtwechsel. Aus den Liften strömen Hunderte von Arbeitern - den Blick gesenkt. Für wenige Dollars im Tag versuchen sie hier ihre Wünsche zu verwirklichen: drei Jahre hart arbeiten, einige Hundert Dollars sparen und in ihrer Heimat ein kleines Geschäft eröffnen. Doch sie sind meist die Verlierer in diesem Wüstentraum. Eine letzte Frage an Projektleiter Rachid Ghamraoui, während der Lift in die Tiefe fährt. «Haben sich die Lebensumstände der Arbeiter verbessert?» Seine Augen blitzen auf. «Sie sind gut untergebracht und werden gut behandelt», brummt er. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Die Inder und Pakistaner wohnen oft zu zehnt in einem Zimmer - ohne Klimaanlagen. Diesen Sommer traten die Arbeiter des Burj Dubai in einen Streik. Sie hatten mehr als drei Monate lang keinen Lohn erhalten.


Der Energiebedarf des Burj Dubai entspricht dem einer Kleinstadt. Zu Spitzenzeiten wird mit einem Energiebedarf gerechnet, der anderswo für die Versorgung von 4000 Haushalten benötigt wird. Um den Bau im Sommer auf erträgliche Temperaturen abzukühlen, braucht es Energie, die der Kühlkapazität von 10 000 Tonnen Eis pro Tag entsprechen. Dem 20-Millionen-Dollar-Auftrag könnte eine weitere Bestellung von 10 Mio. Dollar folgen. Der Konzern ist in Dubai in Dutzenden weiteren Projekten engagiert. Die ABB beschäftigt heute im Mittleren Osten 3300 Mitarbeiter, 360 davon in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Neben der ABB bauen noch weitere Schweizer Firmen am 800 Meter hohen Turm. Die Schmidlin LLC ist für den Fassadenbau verantwortlich. Sie war eine Auslandstochter der konkursiten Schmidlin AG in Aesch. Sie wird vom Bauchemiekonzern Sika unterstützt. Ganz an der Spitze des Bauwerks ist mit ihren Kränen zudem die Firma Liebherr präsent.
 

© Lustenberger Marc / Cash; 23.11.2006; Nummer 47; Seite 23