«Schwester, acht Volt mehr!»

Um besser zu sehen, liess sich unser Autor per Laser einen Teil seiner Hornhaut wegbrennen. Bericht eines Augen-Zeugen.


Von Marc Lustenberger

«Der Herr Journalist ist alles andere als tapfer.» Doktor Matamoro spritzt mir Flüssigkeit in mein Auge. Ein rotes Licht tanzt. «Sie zittern ja. Entspannen Sie sich, sonst können wir nicht anfangen.» Ich liege mit aufgesperrtem Auge auf dem Operationstisch, mehr blind denn sehend. Das Lasergerät knattert wie eine Nähmaschine. «Schwester, acht Volt mehr.» Geruch von verbranntem Fleisch; das rote Licht flackert. Meine sechs Dioptrien Kurzsichtigkeit verdampfen. Heute Abend, wenn ich alles überstanden habe, werde ich diese Klinik ohne Brille verlassen.
Die Wunderoperation heisst Lasik. Weltweit liessen sich im vergangenen Jahr vier Millionen Menschen mit dieser Methode behandeln: Der Laser korrigiert die Krümmung der Linse, indem er einen Teil des Gewebes abträgt. Wenige Minuten nach dem Eingriff kann der Patient bereits ohne Sehhilfe in die Welt blicken. Das Risiko von Komplikationen ist gering. Es ist kein Fall bekannt, wo ein Patient nach dieser Operation erblindete. Im Gegenteil: Zehn bis zwanzig Prozent der Operierten sähen sogar bis zu zweihundert Prozent schärfer als zuvor mit Sehhilfe.
Dies alles hat mir der Arzt José-Louis Matamoro am Tag vor meiner Operation erzählt. Trotzdem gehe ich mit einem beklommenen Gefühl in der Brust durch die Strassen Madrids. Das Auge ist das intimste Organ. Bereits als Kind faszinierten mich blinde Menschen, die sich mit ihrem Stock durch die Strassen tasten - und schreckten mich. Aus Angst vor einem Fehler zögerte ich die Entscheidung zur Operation monatelang hinaus. Dem Laser könnten die Sicherungen durchbrennen. Der Chirurg könnte sein Messer falsch ansetzen. Soll ich meine Augen solchen Risiken aussetzen?
Nur gesunde Augen, deren Fehlsichtigkeit seit Jahren unverändert ist, dürfen operiert werden. Weil die Hornhaut nur einen halben Millimeter dick ist, hat die Laserbehandlung Grenzen. Bleibt zu wenig Hornhaut übrig, kann es bei starken körperlichen Anstrengungen wie dem Heben schwerer Lasten oder, für mich weniger relevant, bei Presswehen zu Verformungen kommen. Bis zu minus zehn Dioptrien können so korrigiert werden. Darüber hinaus kommen kombinierte Operationen zum Einsatz, bei denen zusätzlich eine künstliche Linse hinter die Iris eingesetzt wird. Altersweitsichtigkeit kann mit dem Laser bis heute nicht geheilt werden.
Krankenschwester Angela zieht mir im Warteraum eine Schürze an, packt meine Füsse mit Plastik ein und streift mir eine grüne Haube über. «Legen Sie jetzt bitte ihre Brille ab.» Fast weigere ich mich. Aber nein, denke ich: Die brauche ich jetzt nicht mehr. Zwanzig Jahre lang lebte ich mit Brille. Wegen meiner Kurzsichtigkeit konnte ich ohne ihre Hilfe kaum einen Schritt machen. Wachte ich in der Nacht auf, war mein erster Reflex der Griff auf den Nachttisch. Was einem so lange so wichtig war, vertraut man nur ungern einer anderen Person an. «Geben Sie mir jetzt bitte ihre Brille!» Schwester Angela hat wenig Sinn für grosse Momente. Ich blicke verschwommen in die Welt, sehe Ange-las weissen Kittel, Umrisse ihres Gesichts.
Angela nimmt mich am Arm und führt mich eine Treppe hinunter in den Operationssaal. Meine Beine sind weich. Neben dem OP-Tisch steht die Maschine. Aus ihr wird schon bald der Laserstrahl brennen, der mir mein Leiden nehmen soll. Warum tu ich mir das an? Die Brille ist lästig beim Sport, beim Baden, beim Küssen - aber man gewöhnt sich an sie. Doch ich will den Mädchen schöne Augen machen. Ich tu das alles aus Eitelkeit. Man verdeckt nicht gern das Fenster zur Seele.
Vor der Operation wurden meine Augen untersucht. Neben den üblichen Sehtests kommt für die Lasik ein neues Diagnosegerät zum Einsatz. Der Aberrometer vermisst das Auge mittels Laserstrahlen und erstellt eine topografische Karte der Hornhaut. Der Computer berechnet die Korrektur, die vom Laser umgesetzt wird.
Eine Tür geht auf, das sechsköpfige Operationsteam steht neben mir. Plötzlich geht es schnell. Eine Schwester fixiert mein rechtes Auge mit Klebeband, legt einen Metallring darauf und deckt das Gesicht mit einem Tuch ab. Ich liege nun hilflos mit weit aufgerissenem Auge da. Eine Hand nähert sich mir. Ein Tropfen Flüssigkeit fällt auf meine Hornhaut. «Der Herr Journalist scheint nervös zu sein. Vergessen Sie nicht: Immer auf das rote Licht konzentrieren und ja nicht bewegen!» Der Lichtstrahl ist das Skalpell.
Matamoros herben Humor habe ich bereits am Vortag kennen gelernt. Wir sassen in seinem Sprechzimmer, er rauchte eine Zigarette nach der anderen und schwärmte von seinen Wundermaschinen wie ein Autonarr von seinem Jaguar. «Die Deutschen stellen gute Laser her. Äusserst präzise.» «Maurentöter» hiesse der Mann, übersetzte man seinen Namen ins Deutsche.
Freiwillig beim Folterknecht
In der Anwendung seien die spanischsprachigen Länder führend: In Spanien gebe es mehr kurzsichtige Menschen als in anderen europäischen Ländern. Der wichtigste Grund für die Popularität der Laser-Augenkorrektur sei aber, dass diese Operationstechniken von spanischen und kolumbianischen Ärzten mitentwickelt wurden. Ihren Durchbruch erlebten sie vor fünfzehn Jahren, als die Kubaner im grossen Stil begannen, mit Schnitten in die Hornhaut die Kurzsichtigkeit zu beheben. Die Heilung war schmerzhaft, die Sicht blieb oft verschwommen.
Matamoros Zigaretten qualmten; seine Informationen beruhigten mich nicht gerade.
1992 gelangte mit den ersten Lasern eine neue Methode nach Spanien. Die Augenchirurgen richteten den Strahl direkt auf das Epithel, die oberste Schicht der Hornhaut, fünf bis sieben Lagen durchsichtiger, schmerzempfindlicher Zellen. Diese Methode brachte bessere Ergebnisse, führte aber noch immer oft zu Infektionen und Trübungen.
Als Matamoro vom Durchbruch erzählte, der zwei Jahre später die Entwicklung eines Motormessers brachte, zog ein Lächeln auf seinem Gesicht auf. Heute wird ein runder, zwei Zehntelmillimeter dicker Lappen der Hornhaut aufgeschnitten. Der Chirurg kann so mit dem Laser direkt die schmerzunempfindlichen Fasern der Hornhaut bestrahlen. Nach der Operation streift er das Stück der Hornhaut wieder zurück. Die Wunde ist vor Infektionen geschützt.
Doktor Matamoro legt mir etwas Kaltes auf das Auge, es wird dunkel, und ich spüre, wie dieser surrende Büchsenöffner mein Auge aufschneidet. Die Schnitte sind nicht schmerzhaft; der Gedanke daran tut weh. Ich fühle mich wie in den Händen eines Folterknechts, doch ich liege ja freiwillig hier. Als Matamoro die Maschine entfernt, sehe ich durch die auf-geschnittene Hornhaut nur noch verschwommene Umrisse. Jetzt beginnt der Laser zu surren. Er ist mit einem Eyetracker verbunden, einer Kamera, die jede Bewegung des Auges in Millisekunden registriert und den Strahl entsprechend steuert. Ich versuche mich auf den roten Punkt zu konzentrieren. Dieser flackert, mein Auge zuckt nervös. Dampf steigt auf, es riecht verbrannt. Die Zeit steht still.
Zwanzig Minuten dauert die Operation für beide Augen. Dann werden Tücher und Pflaster entfernt, eine Krankenschwester führt mich nach draussen. Eine halbe Stunde muss ich auf einem Stuhl warten. Mein Auge tränt. Ich darf die Augen nicht öffnen und weiss nicht, wie gut sie noch sehen. Der Laser surrt, immer neue Patienten werden in die Operationssäle gebracht.
Zwei Teams operieren in dieser Klinik wie am Fliessband. Die Lasik ist ein lukratives Geschäft - fünftausend Franken kostet die Korrektur beider Augen. Der Preis scheint die Spanier nicht abzuschrecken. In Madrid gibt es sechzig Kliniken, mehr als in der ganzen Schweiz. Sie verdrängen bereits die klassischen Brillenoptiker.
Ich möchte endlich meine Augen öffnen, einen Blick in die neue Sehwelt wagen. Nach einer halben Stunde höre ich Schwester Angela: «Schauen Sie mich jetzt bitte an.» Erneut zeigt sie wenig Verständnis für grosse Augenblicke - für mich ist es der erste Blick mit neuen Augen. Ich sehe ihr prüfendes Gesicht deutlich vor mir. Lachfalten um den Mund, eine lange Nase. Alles da. Noch trüben Schleier das Bild. Ich fühle mich geblendet, lasse es noch einmal dunkel werden.
Meine Augen sind noch einige Tage lang lichtüberempfindlich, die Schleier verschwinden nach einer Woche. Eine Nachuntersuchung ergibt, dass ich auf dem rechten Auge die volle Sehschärfe habe; auf dem linken ist ein geringer Sehfehler zurückgeblieben. Mein neues Leben ohne Brille? Nicht anders als vorher. Dennoch ein kleines Wunder. Innert zwanzig Minuten ist eine zwanzigjährige Geschichte von meiner Nase verschwunden.